Bonn, 11.11.2024. Am 29. Oktober fand das RAL Forum Nachhaltiges Bauen statt. Knapp 100 Teilnehmende online und vor Ort in Bonn folgten den Vorträgen und Diskussionen rund um das Thema Nachhaltigkeit im Bauwesen.

„Wir haben einige Herausforderungen im Baubereich – und ich habe die Herausforderung, Ihnen dieses komplexe Thema in 20 Minuten nahezubringen“, so Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme, die nach der offiziellen Begrüßung durch RAL Präsidentin RA Doris Möller und Moderator Sven Fischer als erste Rednerin der Veranstaltung das Podium betritt. Sie verliert keine Zeit, das Publikum mit auf eine Reise durch den Status quo und die besonderen Herausforderungen des ressourcenschonenden Bauens zu nehmen. Die Zuhörenden lernen beispielsweise, dass 63 % des Ressourcenverbrauchs in Deutschland dem Bauwesen mit Hoch- und Tiefbau zuzuschreiben sind. Schon das Drehen an kleinen Stellschrauben hat einen hohen Impact auf unsere Umwelt, so Prof. Dr.-Ing. Flamme. Nichts spart mehr CO2 ein, als Materialen länger zu nutzen. Konkret bedeutet dies, dass im Sinne des nachhaltigen Bauens Bestandserhalt vor Neubau kommen sollte.

Den Bestand effektiver nutzen – dieser Forderung schließt sich Sören Steger, Senior Researcher am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie an. Es gibt zu wenige Daten zu den Stoffen, die in der deutschen Baulandschaft im Bestand gespeichert sind. Steger stellt daher in seinem Vortrag das Wohngebäudebestandsmodell des Wuppertal Instituts vor, das die im Bestand gespeicherten Ressourcen sichtbar machen will. Das Modell befindet sich noch in der Entwicklung, zeigt aber bereits für den Wohngebäudebestand NRW auf, dass ca. 4,4 Mrd. Tonnen Mineralik, Metall, Holz, Dämmstoffe etc. im Bestand gespeichert sind.

Nach einer kurzen Pause tritt Robert Jahn von der TU Dresden ans Rednerpult. Er forscht zum Thema 3D-Druck von Gebäuden und beleuchtet intensiv die Nachhaltigkeit dieser Bauweise. Die Vorteile umfassen Materialeffizienz, einen verringerten Transportaufwand und einen Berufsfeldwandel weg von gefährlichen und hin zu mehr anspruchsvollen Berufen im Bausektor. Jahn gibt aber zu bedenken, dass die Bauweise noch in ihren Kinderschuhen steckt und das Ergebnis, insbesondere im Freien, qualitativen Schwankungen unterliegt.

Dr. Anna Braune, Mitinitiatorin und Mitgründerin der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) schlägt anschließend deutlichere Töne an. „Wir verlassen den Bereich, in dem ein friedliches, risikofreies Leben auf unserem Planeten möglich ist. […] Die Lebensdauer von Gebäuden liegt teils zwischen 30–50 Jahren. Das ist Wahnsinn – das Bauen muss sich ändern.“ Transformation ja, aber wohin? Schnell wird klar: Auch die DGNB begrüßt eine Bauwende mit Fokus auf den Bestand. Bestehende Gebäude nachhaltig zu modernisieren, sinnvoll zu nutzen und Neubau ergänzend und maßvoll einzusetzen – das sollte der Weg der Zukunft sein. „Man kann zwei Häuser sanieren und erzeugt damit den gleichen CO2-Ausstoß wie ein Neubau“, so Dr. Braune.

Im Anschluss betritt RAL Hauptgeschäftsführer RA Rüdiger Wollmann das Podium. In seinem Vortrag schlägt er die Brücke vom nachhaltigen Bauen hin zu RAL Gütezeichen. „RAL Gütezeichen“ gibt es seit knapp 100 Jahren und sie haben sich in dieser Zeit immer wieder angepasst. Jetzt müssen sie sich an die neuen Herausforderungen im Bauwesen anpassen und an der Transformation mitwirken“, so Wollmann.

Nach einer kurzen Pause beginnt die Panel-Diskussion. Zu den Speaker:innen gesellen sich Helmut Wiesner, Stadtbaurat und Dezernent für Planung, Umwelt und Verkehr der Bundesstadt Bonn, sowie Thomas Meißner, Vorstandsmitglied der Wohnungsgenossenschaft am Vorgebirgspark. Die Wohnungsgenossenschaft hat kürzlich in einem Pilotprojekt mit der dena (Deutsche Energie-Agentur) bestehende Genossenschaftswohnungen seriell nach dem aus den Niederlanden kommenden Energiesprong-Prinzip saniert. Durch die Sanierung wurden nicht nur die Energiekosten für die Bewohner:innen signifikant gesenkt, die Gebäude haben auch das zweite Jahr in Folge mehr Energie generiert als verbraucht wurde.

Aus dem Publikum kommt die Frage, ob alternativ zum Neubau nicht auch das Aufstocken von Bestandsgebäuden eine nachhaltige Lösung wäre. Helmut Wiesner erzählt von einem Bonner Projekt, in dem ebenso vorgegangen werden sollte – und das auf massiven Widerstand in der Bevölkerung stieß. „Wenn Sie das, was auf großer Flughöhe alle verstehen, vor die eigene Haustür bringen wollen, sind wir leider oft in der Steinzeit“, so Wiesner.

Prof. Dr.-Ing. Flamme hat aber auch Positives zu berichten. So macht sie z. B. immer häufiger die Erfahrung mit öffentlichen Auftraggebern, dass nicht mehr nur konventionell gedacht wird. Kürzlich wurden bei einem Projekt Fenster und Fassade nicht komplett neu gemacht, sondern bei den an sich guten Fenstern nur die Scheiben ausgetauscht. Die Ziegel der Fassade wurden abgenommen, gereinigt und wieder angebracht. Der Aufwand lohnte sich gleich doppelt – die umweltfreundliche Lösung stellte sich nämlich auch als die kostengünstigste heraus.

Moderator Sven Fischer schließt das Panel ab, indem er alle Teilnehmenden nach ihren Wünschen für die Zukunft fragt. Mehr Eigenverantwortung im Umgang mit Ressourcen, sagt Robert Jahn. Dr. Braune wünscht sich, Gebäude so zu betrachten, dass sie in möglichst viele Zukünfte hinein- und hinausgehen können. Helmut Wiesner hofft auf einen Switch in den Köpfen weg vom Ego und hin zum Allgemeinwohl. Rüdiger Wollmann möchte, dass RAL Gütezeichen als Werkzeuge im Transformationsprozess fungieren. „Und wer jetzt zum Beispiel das RAL Gütezeichen Serielles Sanieren mitgründen möchte, kann sich gerne bei mir melden“, so Wollmann.